Die adriatisch-ionische Küstenzone der Balkanhalbinsel. Forschungen zu Kontakt und Austausch zwischen griechisch-illyrischem Osten und italischem Westen in hellenistischer Zeit

„Dikaios fragt Zeus Naios und Dione, ob es passend und gut sei, zu Pyrrhos zu gehen und mit ihm zu kämpfen.“

„Archonidis fragt den Gott, ob ich nach Sizilien segeln soll?“

„Offenbare, O Zeus, ob es mir mehr nützt, meine Tochter dem Theodoros oder dem Tessias zur Frau zu geben!“

(Anfragen an das Orakel von Dodona)

 

Gegenstand des von der DFG geförderten Projekts sind die politischen, wirtschaftlichen und sozia­len Auswirkungen der Verflechtung der Ufer der Adria und des Ionischen Meeres in hellenistischer Zeit. Ausgehend von der Summe der Fragen an das adriatisch-ionische Zentralheiligtum von Dodona in den epirotischen Bergen gliedern sich die innerhalb des Projekts zu untersuchenden Probleme in drei inhaltlich zusammenhängende, aber methodisch deutlich voneinander abgrenzbare Teile: Der Zugriff auf die Fragen der großen Politik erfolgt über das erste Teilprojekt, das den Molosserkönig Pyrrhos und die Folgen seines Italienzugs ins Zentrum stellt. Die wirtschaftliche Perspektive wird im zweiten Teilprojekt erörtert, das den Wandel, der seit dem späten 4. Jh. v. Chr. einsetzt, anhand der westwärts gerichteten Städte Griechenlands und Illyriens in den Blick nimmt. Der hierbei notwendige, für die Antike noch kaum erarbeitete wirtschaftsgeographische Aspekt spielt auch im dritten Teilprojekt eine bedeutende Rolle, das sich mit den Besonderheiten der Sozialstruktur und der Rolle der Frau in Gesellschaften beschäftigt, in denen die Männer wirtschaftlich bedingt regelmäßig für längere Zeiträume abwesend sind.

Mit dem Überschreiten der Adria durch den epirotischen König Pyrrhos und sein Heer im Frühjahr 280 v. Chr. begann eine neue Epoche der Antike: das globalisierte griechisch-römi­sche Alter­tum. In der Folge dieses gescheiterten Unternehmens eroberten die Römer die westliche Küste der Adria und entwickelten sich zur Seemacht. Kolonien wurden gegründet und Häfen ausgebaut. Römische und italische Händler wurden die Hauptakteure der Verflechtung der griechischen und der römischen Welt. Illyrische Stämme profitierten auf ihre Weise vom zunehmenden Verkehr, indem sie sich auf die Piraterie verlegten. Im Projekt werden einerseits die strukturellen Voraus­setzun­gen der Verflechtung zur Zeit des Pyrrhos untersucht, andererseits ihre Wirkun­gen auf die wirt­schaftliche Entwicklung der westwärts gerichteten griechischen und illyrischen Stämme und Städte sowie auf die Sozial- und Familienstruktur, insbesondere die Stellung der Frau, in den Gesell­schaften, die davon lebten, daß die Männer ihr Auskommen auf der See suchten.

Die in dem Projekt zusammengefaßten Themen stellen in ihrer Kombination zum einen neue Fragen an bekannte und untersuchte historische Prozesse, zum andern rücken sie bis dato nicht erkannte Phänomene in den Focus. Außerdem wird dem enormen Quellenzuwachs der letzten Jahrzehnte Rechnung getragen. Der konzentrierte Blick auf die Adria, das ionische Meer und die Westküste der Balkanhalbinsel zwischen Aquileia und Methone, einen geographischen Raum, der keinen gemeinsamen Namen hat, läßt vieles von dem, was die welthistorische Bedeutung der hellenistischen Zeit aus­machte, deutlich hervortreten, was die gängige Konzentration auf die Erober­­ungen Alex­anders des Großen und die mehr schlecht als recht ausgedeuteten Motive und Taten seiner „Nachfolger“ nur verschleiert. Die griechische und die römische Geschichte wachsen hier zu derjenigen griechisch-römischen Geschichte zusammen, die die Grundlagen für die künftige Geschichte Europas legte. Das wilde Adriatische Meer, das auch weiterhin die welthistorisch bis heute bedeutende Sprachgrenze zwischen der lateinischen und der griechi­schen Welt und die Grenze zwischen Osten und Westen bildet, das die Römer fürchteten, haßten und nie als „ihr Meer“ betrachteten, war ein Haupt­akteur dieser in der moyenne-durée-Perspektive betrachtet viel wichtigeren ost-westli­chen Ver­flech­tungsgeschichte der hellenistischen Zeit. Dem traditionellen italienorientierten Deutungsmuster der Geschichte der italisch-griechischen bzw. italisch-illyrischen setzt das Projekt ein anderes ent­gegen, das von der Ostküste ausgeht und die dortigen Akteure in den Mittelpunkt stellt.

Projektleitung: Frank Daubner

Mitarbeiter: Florian Feil und Rebecca Kreßner